Für dieses Jahr stand die Erledigung einer Mammutaufgabe an: Die überfällige Fertigstellung der vor fast zehn Jahren begonnenen Bibliothek (ehemals: Bibliothek der allwissenden Müllhalde).
Es war allerdings sonnenklar, dass es vollkommen unmöglich wäre, in der knappen Zeit eines Jahres hunderte von Buchobjekten anzufertigen und das benötigte Bibliotheksmobiliar zu nähen. Von der Materialbeschaffung mal ganz zu schweigen, denn ich verwende ja nur herausragendsten Müll. Den findet man nur in den letzten Ecken Hamburgs bzw. wird es immer schwieriger, überhaupt was zu finden, weil alles überall immer hübscher wird. Falls einem nicht gelangweilte Polizisten auf die Nerven gehen, die in beruflicher Vollspießigkeit der Meinung sind, man hätte auf abgewrackten Grundstücken keinesfalls Müll zu klauen!
Kein Grund, nicht mit dem Vorsatz alles das zu vollbringen, an die Sache zu gehen. Also habe ich das Projekt erweitert um die Installation Biografie: Abermals ca. 200 Buchobjekte.
Nebenbei forderte das Jahr eine ca. 100teilige Comicreihe, einige gestickte Tafelarbeiten, zwei komplizierte Bücher, einige Haufen an Werken auf Papier und ungezählte digitale Grafiken und den ganzen Rest, der mir gerade nicht einfällt. Das schafft man ja alles gar nicht. Nicht in einem Jahr. Deshalb habe ich hin und wieder was geschrieben und aus purer Langeweile wochenlang einen DADAeder konstruiert. Aber noch ehe das Jahr überhaupt in Schwung gekommen war, um mich zu überfordern, blieben ein paar Monate Zeit für die Installation Schminktisch …
… hier nun, als letztes Puzzlestück der noch nicht fertiggestellten Nebenbibliothek Biografie:
Biografie
Iven Einszehn: „(Buchobjekt) Biografie“ Treibholz, bestickt / Parkettlack / rostige Nägel H 20 x B 33 x T 22 cm
Im letzten Sommer habe ich mich viel auf dem Gelände einer abgebrannten Lagerhalle herumgetrieben und in den vollkommen zerstörten Brandresten angesengtes Holz, Asche und Kohle, Schrott und Kleinteile geborgen, feinsten Rost und Stäube zusammengepinselt, um aus dem ganzen Dreck etwas vollkommen Gegenteiliges herzustellen. Ohne drei Kilo Feinsilber ging das natürlich nicht.
Deshalb gibt es unter anderem ein Rougedöschen mit Silberdeckel, gefüllt mit Rost; ein Schminkästchen mit Silbermontur, gefüllt mit Asche, Rost, Brandsand und Holzspänen; einen prächtigen silbernen Cremetiegel, gefüllt mit giftiger Aschecreme und einen Kugelbecher (Silber, 17. Jahrhundert), gefüllt mit Wattebausch aus rostigem Draht. Und allerlei mehr …
Installation Schminktisch:
Wandspiegel und Halbtisch mit allerlei Zubehör, in einem Brandfeld …
Es soll ja Menschen geben, denen ist es völlig egal, mit wem sie Sex haben, Hauptsache, sie kriegen was ab. Da ergeben sich Notsexgemeinschaften und es wird Kollateralsex getrieben, was das Zeug hält. Falls Du da etwas wählerischer drauf bist, im letzten Moment allerdings feststellst, dass deine Beute ausgerechnet ein AfD-Anhänger ist, Nazi, Rassist oder sonst einer geistigen Vollbeklopptheit angehört, so dass dir entweder alles vergeht oder Du einen weiteren Kontakt nicht mit deinem Gewissen vereinbaren könntest, darfst Du dir auch mal — im Sinne einer positiven Intervention — eine Ausnahme gestatten:
Iven Einszehn: „Heldentaten eines pragmatischen Optimisten“ Stickerei auf Treibholz und Keilrahmen, genäht, lasiert H 29,5 x B 81,5 x T 4,5 cm
… und wer weiß: Vielleicht entwickelt sich daraus sogar ne Art Therapie-Fickerei, so dass ein Soldat die Armee verlässt, ein LKW-Fahrer den eigenen Atomtransport sobotiert, Beatrix von Storch zur Volkshochschule geht, um die Birne aufarbeiten zu lassen oder oder oder
Ich bau mein Atelier alle vier Wochen in einen Dachboden um, lass es ordentlich reinregnen und stelle ein paar Portraits in die Ecke, bis sie ordentlich verrottet und vergilbt sind …
Aysun 1Aysun 1
Daniel
Sybille / AusstellungsansichtSybille / Detail (Der Restaurator hat den Rahmen 1a rekonstruiert …)
Angeln ist in den letzten Jahren schwer in Mode gekommen, besonders unter strammen Jungs. Noch in entlegensten Hamburger Hafengebieten präsentieren sie ihre Ruten, eine prächtiger als die andere. Ich bin davon meistens derart abgelenkt und sexuell verwirrt, dass ich alle Hartz-IV-Bedenken über Bord werfe und mich kaum auf den Zweck meiner stundenlangen Ausfahrten konzentrieren kann. Statt Treibholz mitzunehmen, stehe ich vor dem Problem, das Hartholz loszuwerden.
Ich wollte auch mal wieder so ein strammer Junge sein und bin deshalb zum Medusenangeln für einige Tage ins ländliche Biederitz gereist.
Die Medusen fischt man dort keinesfalls aus der nahegelegenen Ehle, denn Medusen mögen entgegen der Volksmeinung gar keine Meeresfrüchte, auch nicht solche aus Flüssen. Medusen ernähren sich bevorzugt von Rattenschwänzen, jedenfalls wenn die in Rosmarinbutter geschwenkten Eichhörnchenohren alle sind.
Von Medusenangeln wird deshalb gesprochen, weil man die Habitate von Medusen grundsätzlich in der Nähe von Flüssen findet. Medusen leben im Unterholz dichtbewachsener Ödflächen, welche von der dortigen Bevölkerung für Gärten gehalten und mit viel zu vielen Gartenhäuschen, Lauben und sanitären Nebengebäuden vollgestellt werden. Um sie festlich zu dekorieren, wird ganz besonders viel davon gesprochen.
Um die Medusa (auch: Meduse) nicht versehentlich mit anderer heimischer Fauna zu verwechseln, etwa einer verwilderten Barbiepuppe (keine Meduse, sondern eine sogenannte Obdachluse), sollte man auf die Medusenköttel achten. Im Geschmack erinnern sie entfernt an geronnene Kapern.
Tip: Medusenköttel lassen sich herrlich in der Weihnachtsbäckerei verwenden, damit die Verwandten nicht doch noch einen Tag länger bleiben. Kinder nehmen sie auch gerne zum Basteln von Muttertagsgeschenken: Mutter hat also immer Teig für Weihnachten in der Wohnzimmerschrankwand.
Zum Medusenangeln benötigt man viel Leberwurst, denn Medusen angelt man, indem man sie mit ganzen Früchten bewirft. Hierbei ist von besonderem Interesse, dass Medusen kaum weglaufen, sondern in ihrem minimalen Lebensradius von kaum einem Meter lediglich ausweichen und hektisch zappeln. Nach zwei oder drei Körben erwischt man vielleicht eine Medusa am Hinterkopf (auch Erntefleck genannt) oder die Medusa ist vom ständigen Umherhüpfen so erschöpft, dass sie stolpert und sich den Kopf einhaut. Meistens fällt sie aber irgendwann tot um. So oder so, man kann die Medusen dann ganz bequem absammeln.
Das letzte natürliche Medusenvorkommen Europas in Biederitz ist zwar stark vom Aussterben bedroht, ich hatte aber Glück und hab noch zwei von den Biestern erwischt.
Zur Präparation von Medusen konnte ich in der einschlägigen Fachliteratur nichts finden, auch im Naturkundemuseum wollte man mir nicht weiterhelfen, die nutzlosen Naturschutzbelehrungen mal ausgenommen. Deshalb habe ich Forschungsarbeit geleistet und zunächst ein Exemplar auf der Einstellung Baumwolle vier Stunden lang gebügelt – wovon ich abraten möchte. Als richtige Methode erwies es sich, die Meduse einfach über Nacht neben dem alten Auflauf bei 70 Grad im Ofen zu trocknen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:
Der Zierleistenquatsch aus Chinesischem Raketenholz erfüllt keine konservatorischen Zwecke, beeindruckt aber Ergotherapeuten.
Info:
Traditionell werden Medusen im Sammlungsschrank auf dem Medusenbrett aufbewahrt. Die Schräglage verhindert, dass sich eventuell verbliebene Lebenssäfte im Kopf stauen und die Medusen zur Morgendämmerung kichern. Gleichzeitig führt die Stauung in den Füßen zu gelegentlichen Tanzeinlagen. Um dies zu verhindern, hat sich die Jesusfixierung der Füße bewährt.
Medusen interessieren sich übrigens sehr für moderne Kunst. Ihr ausgeprägtes Gesichtshaar ist nichts Geringeres als eine genetische Reminiszenz an die Portraitkünste eines der herausragendsten Künstlers Hamburgs, der die Scheißgesichter seiner Modelle und Rezeptionen konsequent ausstreicht (vgl.: übertriebener Textbalken rechts).
Touristeninfo Biederitz:
Falls es dich nach Biederitz verschlägt, z.B. weil Du dich für mittelständische Profanarchitektur interessierst, frag einen Ortskundigen nach dem Apulischen Eck. Das ist ein Flecken sandig-steiniger Einöde an der Lostauer Straße, ein Stück Land wie weggeworfen, geradeso als könnte Land Abfall sein. Ein Eckchen, das man nicht betreten möchte, es sei denn, man wird mit durchgeladenem Schrotgewehr dazu gezwungen oder vom Ortsbürgermeister dorthin geprügelt. Tut man es ganz zwanglos oder aus Versehen, erlebt man eine schöne Überraschung. Genau dort, an diesem trostlosen Ort, wähnt man sich in der Umgebung karger Vegetation, wo einen Holzkohletiere* in den Hochsommer zirpen, tatsächlich im tiefsten Süditalien. Würde aus dem rosafarbenen Haus gegenüber Pizza Prosciutto serviert, wäre es purer Urlaub. Sogar im Stehen.
*Grillen (!)
Prädikat: Artikel mit 3G-Effekt
geistreich √
geisteskrank √
gaga √