Entwicklungsstörung 1

Niemand hat die Absicht, e-shoes zu entwerfen!

Ist doch merkwürdig, da steigen wir aus dem Atomstrom aus und wir steigen aus der Braunkohle aus. Der Dieselskandal tat sein übriges, um ein Umweltbewusstsein auch in hinterste Bewusstseinswinkel des Landes zu implantieren. Wir alle müssen etwas tun, um die Verrottung des Planeten zu beenden. Und die Konsequenz lautet offenbar: Strom verbrauchen. Strom verbrauchen, Strom verbrauchen, Strom verbrauchen. Immer mehr Strom verbrauchen!

Nichts anderes propagieren Politik und Wirtschaft seit Jahren: E-Autos, E-Bikes, elektrisch betriebene Roller und Skateboards. Als würde Stromverbrauch der Umwelt überhaupt nicht schaden, seit die gefährlichsten und übelsten Stromerzeuger vom Tisch sind bzw. es demnächst endlich mal sein werden. Sauberen Strom gibt es aber gar nicht, auch wenn uns grüner Strom das suggerieren soll. Jeder Strom ist umweltschädlich. Solarzellen müssen doch produziert werden, Windkrafträder gebaut, die Anlagen zur Stromerzeugung müssen errichtet werden. Ohne Eingriffe in die Natur und Verbrauch von Natur geht das nicht. CO2-neutral ist das alles lange nicht. Ich hab jedenfalls noch nie davon gehört, dass überhaupt mal versucht wurde, einen Windenergie- oder Solarpark klimaneutral zu bauen. Das hieße dann bis in alle Einzelkomponenten, dass das Material nicht aus aller Herren Länder um die halbe Welt gekarrt werden dürfte, um daraus den schönen Schein der geretteten Welt zu basteln. Stromtransport und Batterieherstellung kommen aufs Problem noch drauf. Und das Konsumproblem, sich stets das Neueste vom Neuen anzuschaffen, auch.

Wollen wir so genau nicht drüber nachdenken, nicht wahr. Die tollen Leute machen es ja vor, wie elegant die neue strombetriebene Zeitgeistwelt funktioniert. Da kann man wohl mal selbst mitmachen, kann ja so schlimm nicht sein, wenn das mittlerweile üblich ist, e-betrieben auf jede Art und Weise durch die Stadt zu gurken.

Die Elektromotorisierung der Fortbewegungsmittel ist eine – rein inhaltlich betrachtet – folgerichtige Entwicklung: Vom Auto, zum Fahrrad, zum Roller. Wenn man sie weiterdenkt, ist allerdings zu befürchten, dass über kurz oder lang alles motorisiert wird, was Rollen hat. Allen voran: Einkaufswagen und Rollkoffer. Die größte Marktlücke sind allerdings unsere Schuhe. Mit selbstfahrenden Schuhen erübrigt sich so einiger anderer Quatsch!

Ich kapier‘s ja gar nicht. Ich kapier nicht, was so schlimm dran ist, am Fahrrad in die Pedalen zu treten, auf dem Roller mit dem Fuß für Schwung zu sorgen, gar das Auto mal stehen zu lassen und die Öffentlichen zu nutzen (oder, als besondere Herausforderung an den modernen Menschen: Ein Fahrrad auszuleihen). Oder einfach mal zu Fuß zu gehen. All diese überholten Arten der Fortbewegung haben ja den Nebeneffekt, dass der Mensch etwas mehr von seiner Umwelt, sagen wir lieber: Umgebung, mitbekommt, während er sich dabei auch noch höchstpersönlich körperlich betätigt, statt lediglich durch die Gegend geschafft zu werden. Mittlerweile scheint das eine Sache zu sein, die zu einem Fehlverhalten mutiert. Dauert nicht mehr lang und Spaziergänger machen sich verdächtig und müssen sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Dabei haben noch im letzten Jahrtausend Ärzte behauptet, tägliche Bewegung sei wichtig, sogar gesund, insbesondere weil wir alle viel zu viel an Schreibtischen hocken. Seit wir uns über die miniaturisierten – und nebenbei bemerkt: elektrifizierten – Schreibtische unserer smartphones beugen, ist eher mal von WhatsApp-Daumen und Nackensteifheit die Rede. Die körperliche Bewegung wurde zwischenzeitlich wohl ins Fitnessstudio outgesourct, dorthin, wo sie niemanden stört …

–> so ähnlich auch in der jungen Welt vom 11.07.19

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