Die Medusen von Biederitz

Angeln ist in den letzten Jahren schwer in Mode gekommen, besonders unter strammen Jungs. Noch in entlegensten Hamburger Hafengebieten präsentieren sie ihre Ruten, eine prächtiger als die andere. Ich bin davon meistens derart abgelenkt und sexuell verwirrt, dass ich alle Hartz-IV-Bedenken über Bord werfe und mich kaum auf den Zweck meiner stundenlangen Ausfahrten konzentrieren kann. Statt Treibholz mitzunehmen, stehe ich vor dem Problem, das Hartholz loszuwerden.

Ich wollte auch mal wieder so ein strammer Junge sein und bin deshalb zum Medusenangeln für einige Tage ins ländliche Biederitz gereist.

Die Medusen fischt man dort keinesfalls aus der nahegelegenen Ehle, denn Medusen mögen entgegen der Volksmeinung gar keine Meeresfrüchte, auch nicht solche aus Flüssen. Medusen ernähren sich bevorzugt von Rattenschwänzen, jedenfalls wenn die in Rosmarinbutter geschwenkten Eichhörnchenohren alle sind.

Von Medusenangeln wird deshalb gesprochen, weil man die Habitate von Medusen grundsätzlich in der Nähe von Flüssen findet. Medusen leben im Unterholz dichtbewachsener Ödflächen, welche von der dortigen Bevölkerung für Gärten gehalten und mit viel zu vielen Gartenhäuschen, Lauben und sanitären Nebengebäuden vollgestellt werden. Um sie festlich zu dekorieren, wird ganz besonders viel davon gesprochen.

Um die Medusa (auch: Meduse) nicht versehentlich mit anderer heimischer Fauna zu verwechseln, etwa einer verwilderten Barbiepuppe (keine Meduse, sondern eine sogenannte Obdachluse), sollte man auf die Medusenköttel achten. Im Geschmack erinnern sie entfernt an geronnene Kapern.

Tip: Medusenköttel lassen sich herrlich in der Weihnachtsbäckerei verwenden, damit die Verwandten nicht doch noch einen Tag länger bleiben. Kinder nehmen sie auch gerne zum Basteln von Muttertagsgeschenken: Mutter hat also immer Teig für Weihnachten in der Wohnzimmerschrankwand.

Zum Medusenangeln benötigt man viel Leberwurst, denn Medusen angelt man, indem man sie mit ganzen Früchten bewirft. Hierbei ist von besonderem Interesse, dass Medusen kaum weglaufen, sondern in ihrem minimalen Lebensradius von kaum einem Meter lediglich ausweichen und hektisch zappeln. Nach zwei oder drei Körben erwischt man vielleicht eine Medusa am Hinterkopf (auch Erntefleck genannt) oder die Medusa ist vom ständigen Umherhüpfen so erschöpft, dass sie stolpert und sich den Kopf einhaut. Meistens fällt sie aber irgendwann tot um. So oder so, man kann die Medusen dann ganz bequem absammeln.

Das letzte natürliche Medusenvorkommen Europas in Biederitz ist zwar stark vom Aussterben bedroht, ich hatte aber Glück und hab noch zwei von den Biestern erwischt.

Zur Präparation von Medusen konnte ich in der einschlägigen Fachliteratur nichts finden, auch im Naturkundemuseum wollte man mir nicht weiterhelfen, die nutzlosen Naturschutzbelehrungen mal ausgenommen. Deshalb habe ich Forschungsarbeit geleistet und zunächst ein Exemplar auf der Einstellung Baumwolle vier Stunden lang gebügelt wovon ich abraten möchte. Als richtige Methode erwies es sich, die Meduse einfach über Nacht neben dem alten Auflauf bei 70 Grad im Ofen zu trocknen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:

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Präparat einer Medusa von Biederitz
Naturhistorische Sammlungen Iven Einszehn, Hamburg
Der Zierleistenquatsch aus Chinesischem Raketenholz erfüllt keine konservatorischen Zwecke, beeindruckt aber Ergotherapeuten.

Info:

Traditionell werden Medusen im Sammlungsschrank auf dem Medusenbrett aufbewahrt. Die Schräglage verhindert, dass sich eventuell verbliebene Lebenssäfte im Kopf stauen und die Medusen zur Morgendämmerung kichern. Gleichzeitig führt die Stauung in den Füßen zu gelegentlichen Tanzeinlagen. Um dies zu verhindern, hat sich die Jesusfixierung der Füße bewährt.

Medusen interessieren sich übrigens sehr für moderne Kunst. Ihr ausgeprägtes Gesichtshaar ist nichts Geringeres als eine genetische Reminiszenz an die Portraitkünste eines der herausragendsten Künstlers Hamburgs, der die Scheißgesichter seiner Modelle und Rezeptionen konsequent ausstreicht (vgl.: übertriebener Textbalken rechts).


Touristeninfo Biederitz:

Falls es dich nach Biederitz verschlägt, z.B. weil Du dich für mittelständische Profanarchitektur interessierst, frag einen Ortskundigen nach dem Apulischen Eck. Das ist ein Flecken sandig-steiniger Einöde an der Lostauer Straße, ein Stück Land wie weggeworfen, geradeso als könnte Land Abfall sein. Ein Eckchen, das man nicht betreten möchte, es sei denn, man wird mit durchgeladenem Schrotgewehr dazu gezwungen oder vom Ortsbürgermeister dorthin geprügelt. Tut man es ganz zwanglos oder aus Versehen, erlebt man eine schöne Überraschung. Genau dort, an diesem trostlosen Ort, wähnt man sich in der Umgebung karger Vegetation, wo einen Holzkohletiere* in den Hochsommer zirpen, tatsächlich im tiefsten Süditalien. Würde aus dem rosafarbenen Haus gegenüber Pizza Prosciutto serviert, wäre es purer Urlaub. Sogar im Stehen.

*Grillen (!)

 

 

Prädikat: Artikel mit 3G-Effekt

  geistreich √

  geisteskrank √

  gaga √

 

 

Fußnote: Die Polizei und die Kunst

Die Kunst wird ja gerne falsch verstanden, viel lieber noch – gar nicht. Grund genug, sich einzumischen, sich aufzuregen, zu hetzen und zu ätzen. Bei der Kunst denkt nämlich jeder, dass es vollkommen ausreicht, keine Ahnung zu haben, um mitzureden. Da haben es Mathematiker schon besser. Kein Ahnungsloser stellt deren Kenntnisse in Zweifel und wagt es, denen mit blöden Ideen zu kommen.

Neulich war die Polizei war zu Besuch. Beschwerden wegen Kunst auf dem Fensterbrett meines Arbeitszimmers. Da blickt ein Puppenobjekt auf die Straße, die Wutprobe. Eine Puppenskulptur, der ich vermittels eines in den Schritt genähten Böllers eine hübsche Erektion[1] verpasst habe. Das einfache Gemüt erkennt natürlich nicht die Gewitztheit an der Sache, die sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt. Das Objekt stellt offensichtlich einen Jugendlichen dar, der sich auflehnt. Gegen jeden und alles. Pflastersteine und idealisierte Proteste von Anarchie, Hausbesetzung, Linksradikalität und elterliche Sorge inclusive. Und dann der Böller – nichts anderes, als die aufkeimende Sexualität. Die ist in einem gewissen Alter eben höchst explosiv, und sie explodiert in diesem gewissen Alter eben in alle möglichen Richtungen.

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Ein Fall für die Polizei:
„Wutprobe“ von Iven Einszehn

Das alles erschließt sich dem einfachen Gemüt allerdings nicht, weil eine Auseinandersetzung mit dem Werk nicht stattfindet. Wozu auch, das führt ja zu nichts, davon würde man ja was verstehen. Und das würde den Kurzschluss zunichtemachen. So fällt nicht auf, dass sich dort zwar wohlplatziert ein Böller befindet, der Ständer hingegen erst im Kopf des Betrachters entsteht. Und der wittert nun Pornografie! Das sagt tatsächlich einiges aus. Aber nicht über die Kunst oder den Künstler.

Die Polizei fragt, ob ich den Böller nicht abmachen könnte? Also bitte: An der Kunst rummurksen? Abgelehnt. Oder die Skulptur umdrehen? Nein. Oder ganz aus dem Fenster nehmen? Auch nicht. Dreimal nein. Und die Polizei sieht das ein.

Die Polizei hat weder gedrängt noch gefordert, nur höflich gefragt. So war dieser zaghafte Versuch von Einflussnahme, der, würde er in einem anderen Land geschehen, für uns bereits als versuchte Zensur durchginge, eher amüsant.

Für einen anderen Menschen allerdings wäre allein ein Besuch der Polizei Einschüchterung genug gewesen, um ihren Wünschen zu entsprechen. Dazu braucht es gar keine große Obrigkeitshörigkeit. Dazu reicht es, dass die Polizei es einem weiszumachen versteht, sie handle grundsätzlich aus gesetzlicher Rechtfertigung heraus. Nach dem Motto: Wenn die Polizei schon kommt und etwas möchte, habe man entsprechend zu handeln. So denkt beispielsweise ein Großteil der Bevölkerung, es gebe die Pflicht, den Personalausweis stets mit sich zu führen, weil die Polizei bei jeder Gelegenheit danach fragt. Diese Pflicht gibt es nicht, auch wenn die Polizei es gerne anders hätte.

Und so ist auch der Besuch der Polizei bei mir eine vollkommen fehlgesteuerte Amtshandlung. Was fällt der überhaupt ein, deswegen bei mir aufzutauchen! Das einzige, was sie hätte tun dürfen, wäre eine Besichtigung der vermeintlich inkriminierten Kunst. Von der Straße aus.

Um dann nicht mich mit nutzlosen Wünschen zu behelligen, sondern den Beschwerdeführer mit der Gesetzeslage in diesem Land vertraut zu machen! Dort und nur dort gab und gibt es Gesprächsbedarf. Leider für immer und ewig. Denn Dummheit ist ein endlos nachwachsender Naturrohstoff. Der beständige Abbau dieses Rohstoffs gehört durchaus zum Tagesgeschäft eines Künstlers. Dazu gehört eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt:

Wieso gibt es in unseren Gesetzeswerken so etwas Schwammiges wie die Erregung öffentlichen Ärgernisses – aber die öffentliche Entblödung ist jederzeit gestattet?

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[1] Kleine Schwanzkunde:

In der Kunst wird nicht ohne Grund der Begriff Phallus verwendet.

Egal wie prachtvoll, übertrieben und drohend die Latten da durch die Altertumsmuseen erigieren: Mit dem Begriff Phallus wird der steife Schwanz quasi entsexualisiert auf eine höhere Stufe der Betrachtung gestellt.

Antike Hammerlatten erheben sich kunstgeschichtlich allerdings irgendwie über zeitgenössische Ständer. Aus irgendeinem Grunde können moderne Schwänze in der Kunst also pornografisch sein, Hartholz, das 2000 Jahre überdauert hat, aber nicht. Das versteh mal einer!

(Und um das zu verstehen, überprüfe ich manche meiner Ausstellungen darauf, ob sie genug Schwanz hat …)